02.08.2005
Ralf Rangnick will Meister werden
Dortmund (ots) - Im Interview mit der Westfälischen Rundschau
spricht Schalkes Trainer Ralf Rangnick über neue Stars, die Rolle als
erster Bayern-Jäger und gelebte Träume. Wenn Schalke wirklich einmal
Deutscher Meister wird, "sehe ich das schon vor meinen Augen
ablaufen." Das Interview im Wortlaut:
WR: Sie können am Dienstag im Finale um den Ligapokal gegen den
VfB Stuttgart den ersten offiziellen Titel in dieser Saison holen.
Würden Sie das lieber schon in einem direkten Duell gegen die Bayern
machen?
Rangnick (lächelt): Eigentlich nicht. Da wäre sicher mehr Brisanz
drin, aber für uns ist das in erster Linie noch eine wichtige
Möglichkeit zum Einspielen. Im Halbfinale gegen Bremen war ich
angenehm überrascht, wie gut viele Dinge schon gelaufen sind -
schließlich haben wir da zum ersten Mal mit dieser Mannschaft
gespielt. Jürgen Klinsmann würde sagen, wir sind auf einem sehr guten
Weg.
WR: Schalke wird immer als der erste Bayern-Jäger genannt. Ist das
Druck oder Herausforderung?
Rangnick: Es ist eine Bestätigung für die Arbeit, die hier geleistet
wurde. Sowohl, was die Zusammenstellung der Mannschaft betrifft, als
auch für das, was man uns aufgrund der letzten Saison zutraut. Wir
waren Zweiter in der Meisterschaft und im Pokal, und niemand will
sich verschlechtern, das ist klar. Aber ich glaube, dass es sehr wohl
noch andere Mannschaften gibt, die nicht weit weg sind von uns und
vielleicht sogar eine Rolle spielen können, wie wir sie im letzten
Jahr hatten. Nachdem Stuttgart seine Millionen unters Volk gebracht
hat, greifen die wieder oben an. Werder will es auch wissen. Das
Gleiche gilt für Leverkusen, den HSV und Hertha BSC.
WR: Als Sie im vergangenen Jahr Ende September gekommen sind, haben
Sie die Mannschaft von unten nach oben geführt. Nun müssen Sie
Schalke oben etablieren. Ist das schwieriger?
Rangnick: Es ist immer schwieriger, eine Mannschaft oben zu halten.
Als ich hier angefangen habe, gab es jede Menge Luft nach oben. Nun
haben wir die Herausforderung, dort zu bleiben, und die Champions
League wollen wir auch möglichst lange erleben. Außer Bayern gab es
in Deutschland bisher fast keine Mannschaft, die diese Belastung
Champions League/ Bundesliga gleichzeitig gut gemeistert hat. Einmal
hat das Bayer Leverkusen geschafft, und mit Abstrichen im letzten
Jahr vielleicht noch Werder Bremen.
WR: Ist Schalke dafür jetzt schon gerüstet?
Rangnick: Bisher noch nicht. Wir brauchen noch einen rechten
Innenverteidiger, hoffen aber, dass es mit Sotirios Kyrgiakos klappt.
Der ist für die gesamte Saison einfach nötig, um Ausfälle in der
Abwehr kompensieren zu können. Derzeit ist unser Kader klein, aber
oho. Durch die bisherigen Neuzugänge sind wir spielerisch stärker
geworden; Zlatan Bajramovic und Fabian Ernst geben der Mannschaft im
Mittelfeld noch einmal eine andere fußballerische Qualität. Und über
Kevin Kuranyi mache ich mir überhaupt keine Sorgen: Bei ihm kommen
über die Praxis und das Selbstvertrauen die Erfolgserlebnisse. Mit
Kuranyi haben wir uns im Vergleich zu Hanke auch verbessert.
WR: Bedauern Sie es, dass Mike Hanke nicht die Geduld aufgebracht
hat, sich in Schalke durchzusetzen und nach Wolfsburg gewechselt ist?
Rangnick: Ich finde es sehr schade, weil Mike hier eine Zukunft
gehabt hätte. Aber es war ausdrücklich sein Wunsch, den Verein zu
verlassen. Außerdem gibt es da eine ganz persönliche, enge Bindung zu
Manager Thomas Strunz, der früher der Berater von Hanke war. Das ist
schon ungewöhnlich, dass sich ein Spieler zu dem Zeitpunkt für
Wolfsburg entschieden hat, als noch gar nicht klar war, wer dort
Trainer wird. Dazu sollte man nicht ganz vergessen, dass der Transfer
auch finanzielle Gründe hatte. Hier ging es schon um richtig viel
Geld - und zwar nicht nur für Schalke 04...
WR: Was muss die Mannschaft in diesem Jahr besser machen, um bei der
Bayern-Jagd einen längeren Atem zu haben?
Rangnick: Im Rückblick war die Niederlage in Mainz in der
vergangenen Saison ein Knackpunkt. Zwei, drei Tage vorher ging es
plötzlich nicht mehr um das Spiel. Im Stadion habe ich zum ersten Mal
in meiner Karriere das Gefühl gehabt: Da spielen 30 000 Leute gegen
uns. Es war eine totale Solidarisierung mit der Mainzer Mannschaft.
WR: Schalke hatte dem Mainzer Vorstand drei Tage vorher per Anwalt
einen Brief im Transferstreit um Mimoun Azaouagh geschrieben. War das
besonders geschickt?
Rangnick: Ich glaube nicht, dass der Verein das noch Mal so machen
würde. Mich haben damals ganz viele Leute angesprochen und gefragt:
Was macht ihr denn auf Schalke? Ihr Bösen! Ich glaube einfach, dass
wir in diesem Fall die Wirkung nicht richtig eingeschätzt haben: Hier
die großen Schalker, dort die armen Mainzer.
WR: Die Vorbereitung verlief nicht ohne Nebengeräusche. Es gab
Unruhe durch die Suche nach neuen Spielern, den Ailton-Wechsel und
den Rücktritt von Frank Rost als Kapitän. War es nötig, diese
Baustelle noch aufzumachen?
Rangnick: Das ist keine Baustelle. Ich habe mit Frank ein ganz
langes Gespräch geführt, und da waren wir uns absolut einig, dass es
durchaus Vorteile haben kann, wenn ein Feldspieler Kapitän ist -
sofern die Mannschaft das in einer Wahl bestätigt. Nur ein Beispiel:
Du spielst in der Champions League in Old Trafford und irgendwo im
Mittelfeld tobt der Bär - Foul oder nicht Foul, Rote Karte oder
nicht. Ein Feldspieler ist dann unmittelbar in der Nähe, aber bis ein
Torwart am Ort des Geschehens ist, ist das Spiel schon wieder
fortgesetzt. Unabhängig davon wird Frank weiterhin ein Spieler sein,
auf dessen Meinung ich großen Wert lege.
WR: Als neuer Kapitän werden Fabian Ernst, Marcelo Bordon und Ebbe
Sand gehandelt. Wann fällt die Entscheidung?
Rangnick: Heute vor dem Spiel. Ich bestimme den Spielerrat mit
voraussichtlich vier Kandidaten - dazu gehört auch Frank Rost. Aus
diesem Kreis wird die Mannschaft dann geheim ihren Kapitän wählen.
Wenn sich die Mannschaft für Frank entscheidet, bleibt er auch der
Kapitän.
WR: Wenn Sie so kurz vor dem Start tief in sich hineinhorchen: Was
empfinden sie vor dieser Saison? Nervosität? Anspannung? Zuversicht?
Rangnick: Insgesamt habe ich jetzt schon ein gutes Gefühl, wenn ich
in mich hinein horche oder die Jungs beim Training beobachte. In der
Mannschaft steckt ein unheimlicher Geist, etwas leisten zu wollen.
Das spürt man besonders bei den ganz harten, intensiven Einheiten.
Wenn die Leistungsmotivation bei einer Mannschaft nicht so ausgeprägt
ist, wird am Schluss gemurrt und gemosert. Bei uns waren die Jungs
zwar abends mausetot, aber man hat das Feedback gehört:
Super-Training, geil - so müssen wir arbeiten, wenn wir oben dran
bleiben wollen.
WR: Haben Sie den Eindruck, dass diese Mannschaft richtig gierig ist
auf den Titel?
Rangnick: Ich glaube schon. In der vergangenen Saison haben wir
gesehen, dass so viel gar nicht gefehlt hat - auch wenn es am Ende
klar war. Wir wollen alle in diesem Jahr, und was dann hier los wäre,
kann sich inzwischen jeder richtig vorstellen: Ich sehe das schon vor
meinen Augen ablaufen. Jetzt muss man halt gucken, dass man diesen
Traum auch mit Leben erfüllt. Irgendein schlauer Mensch hat mal
gesagt: Nicht das Leben träumen, sondern den Traum leben.
WR: Wie wichtig wäre für Sie persönlich so ein Titel?
Rangnick: Man macht das Ganze ja, weil man Erfolg haben will. Klar,
dass es dazu auch eine richtig gute Bezahlung gibt, darüber brauchen
wir nicht zu diskutieren. Der eigentliche Antrieb für mich ist aber:
Ich will mit dieser Mannschaft maximalen Erfolg. Und maximaler Erfolg
heißt eben auch, Titel zu gewinnen. Ich hatte bisher noch nicht so
oft eine Mannschaft, die das Zeug hatte, Deutscher Meister zu werden.
Jetzt haben wir eine, die zumindest dafür in Frage kommt, wenn alles
gut läuft.
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